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Source: Pop, nr 2, 1974
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Gila - Indianer-Freund im Knast

“Wir sind zäh, wir gehören zu denen, die überleben werden”, sagte Conny Veit, der Gitarrist und Sänger von Gila, vor einem Jahr. Die Band, 1971 gegründet, steckte damals in einer Krise: Von zwei Deutschen, einem Franzosen und einem Schweizer war Conny alleine übriggeblieben, der später von Stuttgart nach München übersielte. Nach einer sehr grossen Konzert-pause und stiller Arbeit – zeitweilig mit Florian Fricke von Popol Vuh – ist Gila jetzt wieder voll da. Beweis: Ihr gelungenes Album “Bury my heart at Wounded Knee”. Gila ist jetzt noch zu dritt: Conny, Sabine Merbach (Gesang) und Danny Fichelscher (Schlagzeug, Bassgitarre, Gitarre). Doch seit Monaten ticket die Zeitbombe: Conny wurde als “Fahnenflüchtiger”gesucht…

 

...Im letzten Oktober nun ging diese Zeitbombe hoch. Urplötzlich. Angesichts dessen, was Conny Veit widerfuhr, kann man nur jedem Kriegs- und Militärgegner raten, seine Wehrdienstverweigerung schön ordentlich über die Bühne zu ziehen, sonst ...

Von Feldjägern und Gendarmen überlistet

Der zierliche Wahlbayer mit dem langen, schwarzen Haar und dem dunklen Teint kann keiner Fliege etwas zuleide tun. Kein zweiter Popmusikant spielt friedlichere Musik als er. Dennoch wurde Conny Veit mit Aufwand und Tücke eingefangen, als sei er ein ganz schwerer Junge. Dabei will der erklärte Indianerfreund nur kein Gewehr in die Hand nehmen.
Im Münchener Büro der Plattenfirma WEA schellt das Telefon. Eine männliche Stimme fragt, ob vielleicht Herr Veit gerade da sei. Er ist da. Conny kommt an den Apparat. Am anderen Ende stellt sich die Stimme als Manager einer Düsseldorfer Diskothek vor. Conny versteht so etwas wie “Dr.Jazz”. Der Manager behauptet, die neue Gila-lp ‘Bury my heart at wounded Knee’ gehört zu haben. Sie habe ihm sehr gefallen. Ob man sich denn nicht mal treffen könne, um miteinander
über einen Auftritt der Gila in der Diskothek zu reden. Conny ist einverstanden. Schlägt einen Termin in den nächsten Tagen vor. Doch der Herr aus Düsseldorf sei gerade in München. Ob er denn nicht mal eben vorbeikommen könne. O.k. - Keine halbe Stunde, da stehen plötzlich zwei uniformierte Polizisten und drei Feldjäger in der Tür.
Conny Veits Einberufungsbefehl war ein Jahr alt. Nach seinen Worten hat sein Anwalt die Einspruchsfrist versäumt. Deshalb gilt Conny nicht mehr als Wehrdienstverweigerer, sondern als fahnenflüchtig. Seitdem wurde er gesucht. Er lebte unangemeldet bei seiner Freundin.

Noch eine Flasche Whisky, dann Wasser und Brot

Der Gitarrist versuchte nicht wegzurennen. Seine Häscher gewährten ihm, in dem Büros der Plattenfirma noch eine ganze Flasche Whisky zu leeren. Nachdem er sie infus hatte, verdrehte er schlaff die Augen und seufzte: “So, jetzt können Sie mit mir machen, was Sie wollen”. Die Fahrt ging schnurstracks ins Gefängnis von München-Stadelheim
Der musische Stammgast des Schwabinger Tiffany fand sich bald in einer kargen Einzelzelle wieder. Er durfte schnell feststellen, dass sich die Untersuchungshaft von der Strafhaft nur auf dem Papier unterscheidet. Stadelheim entpuppte sich überdies noch als ein “echtes Wasser- und Brot-Gefängnis”. Um sechs Uhr früh musste man das Frühstück in Empfang nehmen, coder das, was sich so nannte. Drei Scheiben trockenes Brot und eine “erbärmliche Brühe aus viel Wasser und verschwindend weinig Kaffee-Ersatz”. In einem zerbeulten Biechnapf, “ aus dem nicht mal ein Hund saufen würde”.
Mittags wurde ein zerkochter Gemüsepamp hereingereicht. Dazu ein paar Kartoffeln und dürftiger Salat - alles auf einem Teller. Nicht zu geniessen. Conny trieb’s nich einmal der Hunger rein. Nich am ersten, nicht am zweiten und auch nicht am dritten Tag. Er begann abzunehmen. Gründlich. Denn er sollte noch volle zweieinhalb Wochen Zeit dafür haben.

Der Bau ist voller Hascher

Er muss Anstaltskleidung tragen. Die ersten Tage hat er rein nichts. Bekommt auch nichts. Nicht einmal Zahnpasta, unabdingbares Minimum zivilisierter Hygiene. Denn nur einmal im Monat ist Bestelltag. Seine zweieinhalb Wochen deckten sich nun mal nicht mit diesem Tag.
Die Wärter sind hartgesotten. Die rührt so schnell nichts. Freundliches Bitten oder Geduld führen zu nichts. Nur mit Brüllen komt man einen Zentimer vorwärts. Nach mehreren Tagen bekommt er Papier und Stift und kann auch wieder seine eigene Kleidung anziehen.
Einmal am Tag ist eine Stunde Auslauf im Hof. Der Bau ist voll von jungen Leuten, die sie mit ein paar Gramm Hasch erwischt haben. In der Regel werden sie nach einigen Tagen wieder hinausgelassen. Wenn es sich nicht um Dealer handelt.
Freundin Sabine versucht hartnäckig, zu Conny durchzukommen. Zuerst muss sie sich mal tüchtig anbrüllen lassen. Diplomatisch stecht sie die Demütigungen ein. Ohne lauthals zu kontern. Sie fürchtet, dass sie das nur an Conny auslassen könnten. Nach mehreren Anläufen hat sie’s geschafft. Aber nur für ein einziges Mal.
Acht ‘ Familien’ werden auf einmal zusammengeführt. An einem langen Tisch. Auf der einen Seite sitzen die Insassen. Auf der anderen ihre besseren, freien Hälften. So, und dann dürfen sie 15 Minuten lang miteinander reden. Das war’s.

Von München nach Hildesheim zehn Tage - das ist zuviel!

Nach zweieinhalb Wochen soll der Fahnenflüchtige dem Untersuchungsrichter vorgeführt werden. Doch der sitzt nicht in München, sondern in Hildesheim, an dem Ort, wo die Einheit stationiert ist, der Conny in Abwesenheit zugeteilt worden war. Als man ihm eröffnet, dass der Transport zehn Tage dauern würde - in Gitterwagen von Gefängnis zu Gefängnis - da dreht er durch. Er tobt und trommelt gegen die Zellenwand. Und siehe das, es furchtet. Allerdings, trommeln allein hätte nichts genutzt, wenn er nicht das Geld gehabt hätte, seinen Transport mit der Bundesbahn aus eigener Tasche zu bezahlen. Für seinen Begleiter von der Kriminalpolizei muss er auch blechen, Fahrt und Spesen. In Hildesheim angekommen, geht's wieder erst mal für zwei Tage hinter Gitter. Der Standard ist um einige Grade menschlicher.
Während des Termins sieht man auf Seiten der Bundeswehr ein, dass dieser zartbesaitete Musiker keinen Verlust für die ‘Schule der Nation’ darstellt. Man verzichtet auf ihn. Die Urhaft wird aufgehoben. Was nicht heisst, dass man ihm die Fahnenflucht durhgehen lässt. Der Prozess steht ihm noch bevor.
Viele Anrufe, darunter vom Fernsehen (das Kulturmagazin ‘Aspekte’ hatte einen Gila-Auftritt in Vorbereitung), haben seine Erlösung beschleunigt, vermutet er. Zurück in München, muss sich Conny jeden Samstag bei der Polizei melden.
Inzwischen hat er ein wichtiges Etappenziel erreicht: Er ist als Wehrdienstverweigerer anerkannt. Die noch ausstehende Strafe für die Fahnenflucht wird wahrscheinlich zur Bewährung ausgesetzt.

Musik als Ausdruck seelischen Leids

“Meine Musik ist Ausdruck Seelischen Leids”, sagt Conny. Selten hat er soviel Gelegenheit zu seelischem und auch physischem Leid bekommen wie in diesen drei Wochen. Er hat in Stadelheim zwei Songs geschrieben, die seine Erfahrungen dort verarbeiten und auch Mitgefühl für die andern Gefangenen ausdrücken. Sie werden sich auf einer Single wiederfinden.
Die Gila-Musik klingt nun nicht wie leiderfülltes Gejammer. Hinterdem Ausdruck seelischen Leids steht zugleich die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Daher ist Conny von anderen Kulturen fasziniert, in denen er ein glücklicheresDasein zu erkennen glaubt. Bei den Indianern Nordamerikas siehrt er vor allem mehr Ruge und Selbstverwirklichung. Eine Kultur, die sich ausserdem viel harmonischer zu ihrer natürlichen Umgebung verhalte. So wurde das zweite Gila-Album zu einer einzigen musikalischen Geste gegenüber den unterdrückten Indianern: ‘Bury my Heart at Wounded Knee’ - ‘Begrab mein Herz an der Biegung des Flusses’. Nach dem gleichnamigen Buch des Indianerfreundes Dee Brown.

Mehr als ein Lippen Bekenntnis

Die Solidarität beschränkt sich nicht auf schöne Worte. Das Album erscheint auch in den USA. Der Boss der in den USA ansässigen Plattenfirma hatte sich die Platte bei einem Besuch in München angehört. Er war nicht nur überrascht, solch eine Musik in Old Germany zu vernehmen, sondern er gibt ihr auch gute Chancen in Amerika. Alle Einkünfte aus dem Verkauf wird die Gila einer grossen Indianer-Hilfsorganisation zur Verfügung stellen, der AIM, American Indian Movement. AIM sorgt for allem dafür, dass bei der Erziehung der jungen Indianer die Werte der Indianerkultur nicht verlorengehen. Ohne sie nun aber mit Pfeil und Bogen für die Büffeljagd auszurüsten. Also nicht im Sinne trotziger Reaktion.
Spielte die alte Gila psychedelisch angehauchten, reichlich mit Hall und Echo gestreckten Elektro-Rock, so klingt sie heute leidhafter und halbakustisch. Das Indianer-Album (kein Missverständnisse! Gila lebt nun nicht im Wigwam) zeigt die Band bis auf eine Ausnahme so, wie sie zurzeit spielt. Die Ausnahme ist Pianist und Elektronik-Spezi Florian Fricke. Die Personalunion Popol Vuh und Gila is Vergangenheit. Für Connys Geschmack ging’s bei Florian auf die Dauer zu heilig zu. Überdies stimmten Frickes religiöse Parolen nich so recht mit seiner eigenen Praxis überein.

“You are fired”

Um so mehr blüht die Zusammenarbeit mit Daniel Secundus Fichelscher. Danny, wie man kürzer sagen kann, wurde als Trommler der Amon Düül 2 bekannt, aber nicht alt. Als der Erst-Trommler der Düüls, Peter Leopold, in die Band zurückkehrte, hämmerten sie eine Weile zu zweit. Daraus wurde ein Wettkampf. “Wer war schneller zu Fuss?”. Danny: “Ich hätte mich weiter darauf einlassen können. Aber danach stand mir nicht der Sinn.” Er wechselte zur Gitarre. John Weinzierl bediente eine Zeitlang den Bass. Bis eines Tages bei Danny das Telefon klingelte und Düül-Gitarrist Chris karrer sich meldete. Seine Worte: “You are fired”. - “Du bist gefeuert”.
Noch nie hat ihm die Zusammenarbeit mit einem andern Musiker soviel Spass gemacht wie mit Conny Veit, sagt Danny. Unter ihnen hersschen Gleichberechtigung und Vertrauen. Danny hat hier mehr Aufgaben, als allein für den Rhythmus zu sorgen. Er spielt Gitarre und Bassgitarre dazu. Er stammt aus Berlin. Ist Sohn eines Musikers. Vor jahren hörte er die Düüls auf Platte und flippte über ihr Yeti-Album völlig aus. Mit einem Paar Bongos unterdem Arm haute er von Zuhause ab und kehrte nicht mehr zurück. Neben den Düüls hatte es ihm die Jazz-Sängerin Billie Holiday angetan. Bei dem Filmmusiker F.J.Spieker begann seine musikalische Arbeit. Er traf auf den Ex-Ur-Düül Schrat und lebte mit ihm ein Jahr lang zusammen. Dann holten ihn eines Tages die Düüls.

Kunst und Sex

Der heute 20jährige Danny verkörpert die lebensfrohe Seite von Gila. Er glaubt, dass sich durch die Musik die unterdrückten Triebe befreien lassen. “Es ist zwar immer noch ein Umweg, aber viel direkter als über die gemeinhin angebotenen Ersatzbefriedigungen, wie z.B. im überzüchteten Konsum. In der Musik hat man doch mehr Freiheiten. Sie regt Träume und Phantasien an. Die aus dem Unterbewusstsein hervorbrechenden Sehnsüchte werden eine Stufe konkreter.” Conny nutzt diesen Punkt zu einem Seitenblick: “Im Heavy-Rock sehe ich stark unbefriedigte Sexualität. Statt dessen drückten sich da jede Menge Machtbedürfnisse aus.”

Karl Mays Frauenbild war eine Lüge

“Mich hat es beeindruckt”, bekennt Conny, “dass die Frau bei den Indianern eine viel wichtigere Stellung hat als hier. Die Frau hat viel mehr Kraft.” Es ist zu fürchten, dass der homophile Karl May die deutsche Voerstellung von der Indianerfrau als der kuschenden Squaw ein für allemal verzerrt hat. Wie dem auch sei, Conny hatte eh im Auge, Gila durch Weiblichkeit zu bereichern
Trotz aller männlicher Vorrherrschaft im Rock. Seine Freundin Sabine forderte er eines Tages auf: “Lass das verschüchterte Mitsummen, sing endlich laut”. Dieser Anstoss hatte Erfolg. Sabine singt auf dem Album ganz und gar nicht wie eine Anfängerin.
Eine erfreuliche Karriere in der sonst so konservativen Rockwelt! (Die meisten Rockmusiker sehen in ihren Frauen und Freundinnen die zur Zierde gereichenden Dienerinnen. Das ist keine kühne Behauptung, sodern das Ergebnis zahlloser Gespräche!) Sabine spielt aber noch eine andere Rolle für Gila: Sie sorgt für beständiges Einkommen. Sie arbeitet in dem Büro, in dem Connt verhaftet wurde. Ausserdem jobt sie noch gelegentlich als Fotomodell. Die beiden Herren der Gila hoffen stark, dass Sabine bals so sehr Musikerin wird, dass ihr Anstellung und Haushalt zweitranging erscheinen. Conny scheint da etwas an dem Ast zu sägen, auf dem er sitzt. Zumindest wird er unter Umständen auf einem Unbequemeren Platz nehmen müssen.

“Wenn die Städte sterben”

Gila wird 1974 wieder live aufreten. Gesucht werden noch ein bassist, ein zweiter Drummer und ein Tastenmann. Conny wird zudem mellotron spielen. Beängstigt duch die zunehmende Unmenschlichkeit wird die nächste Gila-LP heissen: ‘Wenn Städte sterben’.